Donnerstag, 16. Februar 2006

Meet Tommy The Clown


Dumpfe Bässe erschüttern das altehrwürdige Gebäude. Über den Köpfen des dritten Rangs brechen sie sich in der Wölbung des hohen Saales, hallen wider und durchfahren abermals Mark und Bein der brodelnden Menge. Die Luft hängt träge zwischen den Rängen. Es riecht nach Adrenalin und Antike. Und an den Wänden perlt der Schweiß der Generationen. Dicht gedrängt hält es die überwiegende Zahl der Zuschauer kaum noch auf den Plätzen. Die Jungen stehen sowieso. Doch selbst die Alten recken die Hälse. Kinder werden auf die Schulter genommen und jeder sieht zu, wo er bleibt.

Auf der Bühne, Nebel. Dahinter plötzlich meterhohe Bilder tanzender Massen. Schnelle Schnitte – schneller Tanz.

Wieder Dunkelheit.

Der Nebel wird von schleppenden Bässen regelrecht zerrissen. Schemenhaft zeichnet sich der bullige Körper eines Tänzers ab. Doch das Publikum ist schneller – donnergleich schallt es dem Mann in Rot entgegen.

Drei Sekunden später kocht der Saal. Drei Sekunden. Und unzählige Bewegungen des jetzt nicht mehr bullig wirkenden Akrobaten. Drei Sekunden, die er uns nun im Voraus ist. Und er hat gerade erst angefangen. Während wir noch versuchen, die diese drei Sekunden zurück zu gewinnen, dehnt er Zeit und Raum nach seinen Vorstellungen.

Das ist Krumping! Angefangen hat es mit Clowning. Und gerade tritt die Personifizierung dieser abstrakten Begriffe auf die Bühne: Tommy the Clown!

Was vorher kochte, entzündet sich jetzt von selbst und die Luft brennt. Der mächtige Mann mit dem farbenfrohen Afro und seinem riesigen Clownsanzug füllt allein mit seiner Präsenz den ganzen Saal. Die Menge tobt. Der Clown schweigt.

Als er zum Sprechen ansetzt, weicht der Lärm zurück. Grollend bahnt sich seine Stimme den Weg durch die hohen Hallen. Er spricht von Armut und Verzweiflung. Von Gewalt und Trauer. Von dunklen Plätzen, selbst an sonnigen Tagen. Beklemmung macht sich in den Rängen breit. Dann spricht er weiter. Von Erkenntnis und Möglichkeiten. Von Einsicht und Hoffnung. Von einem Ausweg.

Er spricht vom Tanzen, von Clowning und Krumping als Konstante in einem Leben, das ansonsten keinen Halt zu bieten hat, von Kids, die nie eine Chance hatten, von der Entscheidung zwischen Rot und Blau, von einer anderen Welt, die seinen Alltag ist.

Und man schenkt ihm Glauben. Er weiß, wovon er spricht, denn er erzählt seine eigene Geschichte. Man kann es in seinen Augen lesen. Dieser Clown, in seinen weiten Hosen und dem bemalten Gesicht, hat seinen Respekt zurück gewonnen. Ohne Gewalt und nicht auf Kosten anderer hat er das erreicht, worum so viele aus seiner Welt kämpfen. Anerkennung.
Das gleiche Selbstbewusstsein findet sich bei seinen Schützlingen wieder. Unter dem Getöse der Massen entern die «Hip Hop Clowns» die Bühne. Einer nach dem Anderen, angekündigt von Tommy, gefordert vom Publikum, zeigen sie, wieso LaChapelles Film so eindrucksvoll war – wegen seiner Darsteller! Wieder kollidiert die Wahrnehmung mit dem Gesehenen. Von den Rängen dröhnt unablässig der Lärm des Unfassbaren. Diese Kids kombinieren brachiale Moves mit solch einer absoluten Präzision, dass sie nur durch ihre eigne Geschwindigkeit noch übertroffen werden können. Der Saal steht Kopf.

Das Spektakel gipfelt im Battle. Zwei Gruppen, einer gegen einen, Move nach Move. Tommy als Ringrichter, das Publikum als Jury. Der Lärmpegel bestimmt den Besseren. Und der Lärm erhitzt die Stimmung die Gemüter. Er treibt die Tänzer an, trägt sie. Immer spektakulärer werden die Bewegungen. Immer schneller die Abfolgen. Am Ende mag man seinen Augen kaum mehr trauen. Hier und jetzt gelten andere Naturgesetze. Aber das geht in Ordnung. Denn was wir gesehen haben, war mehr als eine Tanzform. Es war die Geschichte von einer Chance, die Tommy Johnson 1992 ergriffen hat und die heute so vielen Kids eine echte Perspektive bietet.

„This is how we survive - I krunk, I krunk“ (Flii Stylz)


CONTEXT #3 – LEARNING BY DOING
Plattform für zeitgenössischen Tanz

Tommy The Clown And The Hip Hop Clowns
Hebbel am Ufer, HAU 1 / Berlin-Kreuzberg
Mittwoch, der 15. Februar 2006

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